Iranische Aktivistin
Maryam Banihashemi kämpft aus der Schweiz gegen die Regierung in Teheran und wird dafür mit dem Tod bedroht. Auf den Schutz der Zürcher Kantonspolizei kann die Aktivistin aber nicht zählen. (Tages-Anzeiger, 19.10.2023)
Maryam Banihashemi wirkt ziemlich gefasst für jemanden, der Morddrohungen erhält. «Ich lasse mich vom Regime der Islamischen Republik Iran nicht zum Schweigen bringen», sagt die 40-Jährige und bestellt sich ein Bier. Es ist Freitagnachmittag, und in Zürich scheint die Sonne.
Auf ihrem Smartphone zeigt Banihashemi die Nachrichten eines Bekannten. Es war eine Warnung. Ein Mitarbeiter der iranischen Armee hätte ihm vom Plan erzählt, sie in der Schweiz zu ermorden. Sie solle aufpassen.
Banihashemi wurde vor etwas über einem Jahr zu einer der prominentesten Kritikerinnen der iranischen Regierung in der Schweiz. Damals starb die junge Iranerin Jina Mahsa Amini in der Gefangenschaft der Sittenpolizei. Als Reaktion gingen im Iran und auf der ganzen Welt Tausende auf die Strassen. In Zürich schnitt Maryam Banihashemi sich an einer Demonstration aus Protest die Haare ab.
Anonyme Profile schicken ihr Drohungen
Die ehemalige Unternehmensberaterin kam vor sieben Jahren für einen Job in die Schweiz. Doch inzwischen ist sie in erster Linie Aktivistin, seit kurzem berät sie die amerikanische Organisation «United Against Nuclear Iran». Sie lobbyiert in der Schweiz und der EU für mehr Druck auf die Regierung in Teheran.
Damit hat die Aktivistin sich das Regime zum Feind gemacht. Begonnen hätten die Drohungen bereits kurz nach dem Start ihres Aktivismus in den sozialen Medien, vor allem auf Instagram, erzählt Banihashemi. Neu erstellte anonyme Profile schickten ihr Nachrichten, dass sie lieber schweigen und an ihre Tochter oder ihren Vater denken soll. Dieser lebt noch immer im Iran.
Mit der Zeit seien die Drohungen immer spezifischer geworden, hätten zum Beispiel auch Anspielungen auf den Wohnort ihres Vaters oder ihre Situation in der Schweiz gemacht. «Ich nehme diese Drohungen ernst, denn die Islamische Republik hat immer wieder gezeigt, dass sie fähig ist, auch in Europa Regimekritiker anzugreifen.»
Verbindungen zwischen Mord in der Schweiz und dem Iran
So hatte ein iranisches Killerkommando 1990 zum Beispiel den Oppositionellen Kazem Rajavi im Kanton Waadt in seinem Auto erschossen. Auch hinter zwei Morden in Holland 2015 und 2017 soll die Regierung in Teheran stehen.
Bei Banihashemi ist es vermutlich ebenfalls nicht bei den Drohungen geblieben. «Ich hatte dreimal das Gefühl, dass mich jemand verfolgt. Zweimal in der Nacht in Zürich auf dem Heimweg von Sitzungen, einmal in Bern», sagt die Aktivistin. Der Verfolger in Bern sei ihr aufgefallen, weil er trotz des warmen Frühlingswetters einen Hoodie mit heruntergezogener Kapuze getragen habe und ihr nachgelaufen sei. «Im Gedränge am Bahnhof bin ich ihn dann jedoch losgeworden.»
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) geht davon aus, dass der Iran Regimekritikerinnen und Oppositionelle in der Schweiz ausspioniert und unter Druck setzt. So schrieb er bereits 2020 in seinem Bericht zur Sicherheit der Schweiz, dass der iranische Nachrichtendienst in der Schweiz «präsent sei». Hier würde er als Ziel «hauptsächlich die Kontrolle ihrer Diasporagemeinschaft und politischer Opponenten» verfolgen.
In seinem aktuellen Bericht schreibt der NDB, dass sich diese Überwachung «wegen der neuesten Protestwelle nochmals intensiviert haben» dürfte. Bedrohten Personen empfiehlt der NDB, sich an die jeweilige Kantonspolizei zu wenden.
Die Polizei empfiehlt private Wächter
Dies hat auch Maryam Banihashemi Ende Juni getan. Doch die Ratschläge des Polizisten liessen sie etwas ratlos zurück: «Er hat mir empfohlen, meinen Namen zu ändern, umzuziehen und einen Bodyguard anzustellen.»
Weil Banihashemi nur über einen iranischen Pass verfügt, könnte sie ihren Namen nur auf der iranischen Botschaft ändern lassen. «Das ist für mich wahrscheinlich der gefährlichste Ort der Schweiz, das ist offiziell iranischer Boden. Dorthin werde ich sicher nicht gehen.»
Einen privaten Sicherheitsdienst könne sie sich nicht leisten. «Ich habe meinen Job gekündigt für meinen Kampf gegen das Regime und ich lebe von meinem Ersparten.»
«Man kann nicht von einem Kantonspolizisten in einer kleinen Zürcher Gemeinde erwarten, dass er sich perfekt mit der Situation der iranischen Diaspora in der Schweiz auskennt.»
Fabian Molina, SP-Nationalrat
Auf Nachfrage hätte der Polizist ihr aber immerhin versprochen, dass im Falle eines Notrufs die Polizei wisse, wer sie sei, und entsprechend reagieren könne. «Aber ob das wirklich so sein wird, wenn ich 117 anrufe, bin ich mir nicht so sicher», sagt die Aktivistin.
Die Kantonspolizei Zürich äussert sich auf Nachfrage nicht zum Fall. Auch wie man generell bei Drohungen gegen Personen vorgehe oder was es brauche, um Polizeischutz zu erhalten, möchte sie aus «taktischen Gründen» nicht beantworten.
Kompetenzproblem bei der Polizei
Für SP-Nationalrat Fabian Molina, der im Parlament mehr Sanktionen gegen den Iran fordert, sind die Ratschläge der Kantonspolizei «ein schlechter Witz». Die vergangenen Attentate des iranischen Geheimdienstes in Europa hätten gezeigt, dass die Bedrohung für Aktivistinnen und Aktivisten in der Diaspora real sei.
Er nimmt die Kantonspolizei aber auch in Schutz. So gebe es ein Kompetenzproblem zwischen der Bundespolizei und der Kantonspolizei. «Man kann nicht von einem Kantonspolizisten in einer kleinen Zürcher Gemeinde erwarten, dass er sich perfekt mit der Situation der iranischen Diaspora in der Schweiz auskennt», sagt Molina.
Schweiz soll Gelder einfrieren
Gerade als das Gespräch mit Maryam Banihashemi zu Ende geht, ploppt auf ihrem Handy eine Nachricht auf. Die Schweiz übernimmt einen Teil der Sanktionen gegen den Iran. Der Hauptgrund dafür ist die Unterstützung des Iran von Russland, nicht die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung. «Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber viel ist es nicht», sagt Banihashemi.
Von der Schweiz wünscht sie sich unter anderem, dass sie das hier deponierte Geld der Elite der Islamischen Republik einfriert und die iranische Revolutionsgarde zur terroristischen Organisation erklärt.
Und was wünscht sie für sich selber? «Ich will meine Sicherheit zurück. Als ich in die Schweiz kam, fühlte ich mich so frei wie nie zuvor. Ich war unabhängig, musste keinen Schleier tragen und konnte ausgehen, wann ich wollte.» Heute gehe sie nicht mehr an Konzerte und schaue sich die ganze Zeit um. «Meine kleine Tochter hat mich gefragt, warum ich neuerdings die Haustür abschliesse. Ich habe es ihr nicht gesagt. Sie soll ohne Furcht aufwachsen.»