Es herrscht Krieg, die Schweiz rüstet auf – und was tut die GSoA?

Pazifismus in der Krise

«Völlig daneben», findet SVP-Ständerat und Armee-Oberst Werner Salzmann die Position der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee. Die GSoA aber sieht sich gerade jetzt besonders herausgefordert. (Tages-Anzeiger, 29.12.2023)

Drinnen im Bundeshaus beschliesst der Nationalrat, die Regeln für Waffenexporte zu lockern. Draussen auf der Bundesterrasse macht die GSoA das, was sie besonders gut kann: Sie setzt sich medienwirksam in Szene.

Vierzehn Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) versammeln sich hinter Plakaten und halten Rote Karten hoch. In der Mitte steht eine Frau, die als Justitia verkleidet ist. Sie hält eine Waage mit Waffen und dem Kriegsmaterialgesetz. Die Waage kann sich nicht ganz entscheiden, ob das Plastikgewehr oder das Gesetzbuch aus Karton schwerer ist.

Auf- statt Abrüstung in der Schweiz

Es gibt in der Schweiz wenige Organisationen, die so schnell so viel Lärm machen können wie die GSoA. Doch in letzter Zeit war es still um sie.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine war Abrüstung kein Thema mehr. Auch gestandene Linke riefen dazu auf, anderen Ländern die Weitergabe von Schweizer Waffen in die Ukraine zu erlauben. Wollten viele die Schweizer Armee zuvor noch auf Cyberangriffe und zivile Aufgaben ausrichten, diskutiert man nun wieder über schwere Waffen und Panzer.

Viola Amherd bestellte drei Dutzend F-35-Kampfjets. Deren Kauf wollte die GSoA eigentlich mit einer Initiative verhindern. Vor vollendete Tatsachen gestellt, konnte sie diese nur noch zurückziehen. Derweil beschloss das Parlament eine massive Aufstockung des Armeebudgets.

Die nächste grosse Niederlage musste die Gruppe Ende Dezember hinnehmen. Das Parlament nahm eine Motion an, die es dem Bundesrat ermöglichen soll, bei Waffenexporten Ausnahmen von den gesetzlichen Restriktionen zu machen. Dabei hatte es die Regeln erst vor zwei Jahren verschärft, um die Korrektur-Volksinitiative der GSoA zu verhindern.

Doch zurzeit scheint niemand mehr Angst zu haben vor der Referendumsmacht der GSoA.

Eine neue Initiative und ein Referendum

«Natürlich ist es für uns einfacher in Friedenszeiten», sagt Roxane Steiger am Nachmittag vor der Aktion im Berner Büro der GSoA im Breitenrainquartier. Sie ist seit einem Jahr im neunköpfigen Sekretariat der Organisation. Aber die Gruppe lasse sich deshalb nicht von ihrem Weg abbringen. «Die aktuellen Konflikte auf der Welt zeigen doch gerade, dass es uns braucht, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher», findet Jonas Heeb – er ist seit zweieinhalb Jahren Sekretär.

Um das Thema Abrüstung wieder in die politische Diskussion einzubringen, hat die GSoA Anfang November beschlossen, eine neue Initiative zu lancieren. Diese soll den Bundesrat zwingen, den internationalen Atomwaffenverbots­vertrag zu unterschreiben. Die Schweiz war an dessen Ausarbeitung federführend beteiligt. Doch um die Nato nicht zu verärgern, schiebt die Regierung die Unterzeichnung seit fünf Jahren vor sich her.

Zusätzlich hat die GSoA auch bereits angekündigt, das Referendum gegen die Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes zu ergreifen – sollte diese tatsächlich kommen.

Urgestein Jo Lang ist zuversichtlich

Die Organisation gibt sich also kämpferisch. Aber kann sie in einem Jahr gleichzeitig eine Initiative und ein Referendum stemmen? Während die Stimmung im Volk Richtung Aufrüstung geht?

Ex-Nationalrat und GSoA-Urgestein Jo Lang gehört seit 40 Jahren dem Vorstand an. Eigentlich hätte er auch an die Aktion auf der Bundesterrasse kommen wollen. Doch er musste krank zu Hause bleiben. Am Telefon zeigt Lang sich zuversichtlich. «Die GSoA ist aktuell gut aufgestellt, wir hatten schon schwierigere Zeiten.»

Er sagt, er habe schon oft Abgesänge auf die GSoA gehört. Denn obwohl sie es immer wieder schaffte, die politische Agenda der Schweiz mitzubestimmen, fuhr sie an der Urne in der Regel Niederlagen ein.

«Der Erfolg und die Stärke der GSoA messen sich nicht an gewonnenen Abstimmungen, sondern daran, wie wir die politische Grundstimmung verschieben können», sagt Lang. Das beste Beispiel dafür sei die erste GSoA-Initiative über die Abschaffung der Armee. 1989 sagten zwei Drittel der Stimmenden dazu Nein. Doch die GSoA hatte es geschafft, einer gesellschaftlichen Bewegung eine Stimme zu verleihen. Danach veränderte sich die Armee in einem Tempo und einem Ausmass, die vorher unvorstellbar gewesen waren.

Linke Kaderschmiede

Die GSoA bewegt sich seit je an der Grenze zwischen sozialen Bewegungen und den Institutionen. Sie ist an Demonstrationen genauso präsent wie im Bundeshaus. Auch personell ist der Übergang oft fliessend. Heeb zum Beispiel kommt von den Jungen Grünen, Steiger aus der Klimabewegung.

Auf dem aktuellen GSoA-Sekretariat ist kaum jemand über dreissig, alle sind Teilzeit angestellt. Im Büro der Gruppe liegen überall Dokumente, Flyer, Fahnen und Plakate herum. Es sieht mehr nach Aktivismus aus als nach arrivierter politischer Organisation.

Genau das mache die GSoA erfolgreich, sagt Lang: «Der Eintritt in die GSoA ist sehr niederschwellig und unbürokratisch. Das zieht junge und motivierte Leute an. Sie sind bereit, viel zu leisten, weil sie von der Sache überzeugt sind.»

Das GSoA-Sekretariat ist dabei auch eine Art linke Kaderschmiede. Wer nach einigen Jahren das Büro wieder verlässt, landet oft in den Sekretariaten der grossen linken Parteien und Gewerkschaften.

Der häufige Personalwechsel und die Nähe zu den verschiedenen sozialen Bewegungen verschieben aber auch immer wieder den inhaltlichen Fokus der GSoA. Früher galt dieser ganz der Schweizer Armee und deren Abschaffung. Heute steht sie mehr noch als früher auch für Klimagerechtigkeit und Feminismus ein. Das Fernziel der GSoA sei aber immer noch eine Schweiz ohne Armee, versichert Roxane Steiger.

Position der GSoA sei «völlig daneben»

«Die Vertreter der GSoA treten konsequent dafür ein, woran sie glauben: an die Abschaffung der Armee», sagt Werner Salzmann, Berner SVP-Ständerat, Oberst und Mitglied der Offiziersgesellschaft Burgdorf. Abgesehen davon hat er wenig für die Gruppe übrig. Spätestens seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine hätte auch die GSoA merken müssen, dass ihre Position «völlig daneben ist». Solange es auf der Welt Kriegspotenzial gebe, sei die Abschaffung der Armee ein naives Anliegen, findet Salzmann.

Langfristige Sicherheit für die kleine Schweiz könne es nur geben, wenn die Welt näher zusammenrücke und Krisen wie den Klimawandel und globale Armut löse, entgegnet Roxane Steiger. Dafür sollte die Schweiz unter anderem über ihren Finanz- und Rohstoffhandelsplatz Druck auf kriegstreibende Staaten ausüben: «Das ist wirksame Sicherheitspolitik.»

Am Abend auf der Bundesterrasse geht es aber zuerst einmal um Waffenexporte. «Nicht zu fest lachen, wir sind hässig!», ruft Jonas Heeb seinen Mitstreiterinnen zu. Alle blicken ernst in die Linsen der Fotografen. Nach zehn Minuten ist die Aktion vorbei.

Am selben Abend landen die Fotos der Aktion in den Mailkonten der Schweizer Medienhäuser. Der Kampf um das Kriegsmaterialgesetz ist eröffnet. Und damit auch der Kampf um die Relevanz der GSoA.

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