Schweizer Kosmetikfirma
Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit wandelte sich die Herstellerin von Candida, Handy und Total zum weltweiten Unternehmen. Nun will die Migros sie verkaufen –und tut sich schwer damit. (Tages-Anzeiger, 25.04.2024)
Peter Müller ist dem Migros-Pressesprecher immer zwei Schritte voraus. Der grossgewachsene Deutsch-Schweizer ist seit drei Jahren Chef der Mibelle. An der Besichtigung der Fabrik im aargauischen Buchs führt er zügig vorbei an Kübeln voller Öle und Chemikalien, Mischbehältern und Abfüllanlagen.
Er ist auf der Suche nach Migros-Kosmetika, die für den Zeitungsartikel fotografiert werden können. Doch die grossen Anlagen in der Fabrik im aargauischen Buchs produzieren gerade alle Shampoos und Duschgels für den deutschen Markt. Kein oranges «M» weit und breit.
Und das, obwohl die Mibelle zu 100 Prozent der Migros gehört und deren Eigenmarken herstellt.
Nur wenige kennen die Mibelle
Dadurch kommt uns das Unternehmen sehr nahe. Wir streichen sie uns als Margarine aufs Brötchen, als Shampoo in die Haare und als Candida-Zahnpasta auf die Zähne. Die Lieblingstasse schrubben wir mit ihrem Handy-Abwaschmittel, und unsere Pullis riechen nach Mibelles Total-Waschmittel.
Jedes Jahr verlassen gegen hunderttausend Tonnen Waschmittel, Seifen und Speisefette die Fabriken in Buchs und Frenkendorf BL. Dennoch ist der Name Mibelle nur wenigen ein Begriff.
Zum ersten Mal gehört haben den Namen wohl viele erst, als die Migros Anfang Februar überraschend verkündete, dass sie die Mibelle verkaufen will – obwohl sie als profitabel und erfolgreich gilt.
Migros-Chef Mario Irminger sagte vor den eilig zusammengetrommelten Medienleuten: «Die Mibelle ist aus der Migros und über sie hinausgewachsen, weshalb heute weniger Gemeinsamkeiten und Synergien bestehen. Deshalb erachtet die Migros die Entwicklungschancen der Mibelle bei einer neuen Eigentümerschaft als grösser.»
Mibelle Chef hat Verständnis für Migros
Peter Müller scheint den Verkaufsentscheid nicht sonderlich schwer zu nehmen. «Ich kann nachvollziehen, dass die Migros sagt, sie sei die falsche Besitzerin für unsere globale Ausrichtung», sagt der Mibelle-Chef.
Denn während vor dem Mibelle-Hauptsitz in Buchs Industriegebiet, Fussballfelder, Äcker und Mittelland-Nebelsuppe warten, geht es in Müllers Büro um Deutschland, Frankreich, die USA, Korea, gescheiterte Expansionen, die nächsten globalen Beauty-Trends und Hunderte Millionen Jahresumsatz.
Mibelle – vom Boykott zur Expansion
Begonnen hat die Geschichte der Mibelle vor über 90 Jahren in Basel mit Gottlieb Duttweiler, der ein Problem hatte. Mit seinen unkonventionellen Verkaufsmethoden und vor allem seinen tiefen Preisen hatte sich der Migros-Gründer viele Feinde gemacht. Andere Detailhändler und Markenhersteller setzten die Produzenten unter Druck, nichts an Duttweiler zu verkaufen.
Davon betroffen war unter anderem auch Seife, eines der ersten sechs Produkte, welche die Migros verkaufte. So soll zum Beispiel der Seifenfabrikant Friedrich Steinfels 1927 gesagt haben: «Ich habe aufgehört, an die Migros zu liefern, einzig deshalb, weil ein stiller Boykott durch die Mitglieder des Spezereihändlerverbandes befürchtet werden müsste.»
Um ihre Kundschaft dennoch sauberzukriegen, begann die Migros bald selbst Seife herzustellen. Dazu gründete sie 1933 in Basel die Giessliweg-Fabriken, kurz Gifa AG. Dort stellte sie eigene Waschmittel und Speiseöle her.
1961 kam in Basel dann die Mibelle-Fabrik für Kosmetika hinzu, die ihren Sitz jedoch bereits wenige Jahre später nach Buchs verlegte. 2012 wurden die beiden Firmen unter dem Namen Mibelle Group zusammengefasst, gemeinsam mit der Mibelle Ltd. Diese war zwei Jahre zuvor mit dem Kauf einer Kosmetikfabrik in England entstanden.
Die Mibelle mischt fürs Ausland
Doch bereits seit den frühen 90er-Jahren war die Mibelle eine international tätige Firma. «Der Schweizer Markt ist einfach zu klein, um als Kosmetikhersteller wettbewerbsfähig zu bleiben», sagt Peter Müller dazu. Heute produziert die Mibelle nicht nur in Buchs und Frenkendorf in der Schweiz und in England, sondern auch in Frankreich und den USA.
Das bedeutet jedoch nicht, dass in London, Paris und Berlin auf einmal alle Handy-Spülmittel benutzen. Denn das Geschäft der Mibelle ausserhalb der Migros-Regale besteht in erster Linie darin, für andere Firmen unter deren Namen zu produzieren. Das kann das Abmischen und Abfüllen nach vorgegebenem Rezept sein, häufig übernimmt die Mibelle aber auch die gesamte Entwicklung.
Die Mibelle hat es in ihrer Kategorie so zum drittgrössten Hersteller für Eigenmarken in Europa gebracht, also für Shampoos und Seifen, welche Supermärkte dann unter ihrem eigenen Namen verkaufen können.
Die Produkte der Mibelle schafften es sogar bis nach Mumbai. Unter dem Namen Swiss Tempelle belieferten sie eine Zeit lang indische Supermärkte, zum Beispiel mit Lotus-Alpenrose-Duschgels.
Nur noch ein Drittel landet in den Migros-Regalen
Der internationale Erfolg führte auch dazu, dass nur noch ein Drittel der täglich produzierten 675 Tonnen Kosmetika und Waschmittel in Migros-Regalen landen.
Es überrascht deshalb nicht, dass auch im zweiten Stock der Fabrik erstmals weit und breit keine Migros-Produkte zu sehen sind. Hier stehen die kleineren Abfüllanlagen, die für kleinere oder spezielle Produktionslinien verwendet werden.
Gerade schrauben zwei Frauen Deckel auf Sonnencremen im Kinderformat. Bestseller wie Shampoo oder Duschgel hingegen werden praktisch vollständig automatisiert hergestellt.
Diese grossen Anlagen können pro Stunde gut 7000 Flaschen abfüllen, etikettieren und auf allfällige Fehler scannen. Dafür reicht eine Person, welche die Maschine bedient – dementsprechend sieht man in der Fabrikhalle wenig Menschen. Insgesamt arbeiten in der Schweiz 730 Personen für die Mibelle, davon 400 in der Produktion. Auf der ganzen Welt sind es etwas über 1600.
Die wenigen Mitarbeitenden auf den Gängen in der Fabrik in Buchs sind in Haarnetze gepackt, schliessen Schläuche um und kontrollieren Displays. Peter Müller grüsst alle, viele davon mit Namen. Man ist per Du.
Mibelle wird wahrscheinlich ins Ausland verkauft
Was aus ihnen wird, wenn die Mibelle verkauft wird? Hört man sich in der Branche um, geht kaum jemand davon aus, dass die Migros eine Schweizer Käuferin finden wird. Dafür sei die Mibelle schlicht zu gross. Nur wenige hiesige Unternehmen könnten sich eine Übernahme der Mibelle-Gruppe leisten, sagt auch Müller.
Angst um seine Mitarbeitenden hat er aber keine. «Der Standort Schweiz wird zu oft schlechtgeredet. Wir haben hier gute Arbeitskräfte, eine gute Sozialpartnerschaft und eine hervorragende Infrastruktur.» Aber klar, die Schweiz sei auch teuer. Doch auch dank der hohen Automatisation sei die Mibelle heute in allen Bereichen profitabel. «Wieso sollte das mit einer neuen Besitzerin anders sein?», fragt Müller.
Dass die Migros die Mibelle trotz deren Erfolg verkaufen will, überraschte viele, auch unter den Mitarbeitenden. Nachdem der erste Schock verdaut sei, sehe man den Verkauf nun eher als Chance, schreibt die Personalvertretung in einer Stellungnahme. Sorgen mache man sich einzig wegen möglicher «einschneidender Massnahmen in der Schweiz unter einer neuen Eigentümerschaft».
Migros-Stiftung bedauert den Verkauf
Kritischer zum Verkauf steht David Bosshart, der Präsident der Duttweiler-Stiftung. Diese ist dafür zuständig, dass die Migros den Werten ihrer Gründer treu bleibt und von der Geschäftsleitung unabhängig. Bosshart ist sozusagen die Personifizierung des viel beschworenen Dutti-Geistes. «Die Stiftung bedauert den Entscheid zum Verkauf ausserordentlich», lässt er ausrichten. Mehr möchte er in der aktuellen Verkaufsphase jedoch nicht sagen.
Manche Kritikerinnen und Kritiker wünschen sich wohl ein Zurück zum Fokus auf den Heimmarkt wie zu Duttis Zeiten. Doch für den Mibelle-Chef wäre das keine Option: «Man kann langfristig mit unserer Grösse nur international erfolgreich sein. In der Schweiz werden zwar viele innovative Produkte entwickelt, Konsumententrends kommen jedoch selten von hier.» Wolle man konkurrenzfähig bleiben, müsse man diese jedoch antizipieren können. «Vorreiterin ist in der Kosmetikbranche heute Südkorea, zum Beispiel mit ihrer sogenannten K-Beauty», sagt Müller.
Deshalb übernahm die Migros 2018 die Dermakosmetik-Firma Gowoonsesang – und verkauft heute in Korea «Schwarze Schnecken-Creme» gegen Falten und zur Aufhellung der Haut.
In der Kosmetik und in Beauty sieht Müller denn auch das grösste Wachstumspotenzial der Mibelle. «Nutrition und Homecare sind nicht Hauptfokus für unsere zukünftige Expansion», sagt er diplomatisch.
Am veganen Käse, den die Mibelle für die Migros produziert, dürfte eine Käuferin aus der Kosmetikbranche wohl auch nicht besonders interessiert sein.
Aber dafür wahrscheinlich an den Wirkstoffen, welche die Mibelle unter dem Namen Mibelle Biochemistry für die Industrie entwickelt. Darunter ist zum Beispiel eine «liposomale Zubereitung aus Schweizer Gletscherwasser», die der Haut «Reinheit, Frische und ein ‹Gefühl von Schweiz› als emotionalen Wert» spendet.
Der Verkauf könnte schwierig werden
Die Migros gibt sich dann auch sehr zuversichtlich, was die Suche nach einer Käuferin betrifft. Bis Ende Jahr will sie sich Zeit lassen, um eine geeignete Kandidatin zu finden.
Doch bereits gibt es erste Berichte, dass es schwierig werden könnte, eine Käuferin zu finden, die alle Bereiche übernehmen will. Dabei war es ursprünglich der Wunsch der Migros, das Unternehmen als Ganzes zu verkaufen.
Den Kundinnen und Kunden versichert sie auf jeden Fall, dass sich am Sortiment nichts ändern würde. Handy, Candida und Total werde man in Zukunft einfach extern in Auftrag geben, je nachdem auch gleich bei der neuen Mibelle-Eigentümerin, wiederholt der Migros-Pressesprecher in der Fabrik in Buchs.
Auch sonst ist er zufrieden. Denn in der dritten Halle wird endlich für die Migros produziert. Auf einer vergleichsweise kleinen Anlage werden längliche Fläschchen mit Abschminkmittel befüllt. Davon darf der Fotograf nun die versprochenen Bilder für den Artikel machen. Denn unter den Kunden der Mibelle befinden sich auch einige sehr bekannte Namen, deren Zusammenarbeit mit dem Migros-Konzern jedoch geheim bleiben muss – und die dementsprechend nicht auf den Bildern zu sehen sein dürfen.
Peter Müller ist derweil schon wieder zwei Schritte weiter.