Wahlkampf vor Gericht
Die Republikaner versuchen, sich mit Änderungen der Wahlregeln einen Vorsprung zu verschaffen. Vor Gericht wartet ihr Angstgegner: Marc Elias. (Washington D.C., Tages-Anzeiger, 17.10.2024)
Republikaner sagen selten etwas Gutes über einen Demokraten. Dem Anwalt Marc Elias musste aber sogar der rechte Vordenker Steve Bannon in seinem Podcast Respekt zollen: «Er ist das pure Böse, aber, Mann, dieser Bruder ist schlau und zäh. Er ist verrückt, aber er ist ein Kämpfer, und ich bewundere Kämpfer.»
Dabei verantwortet Elias wohl so manche Zornesfalte von Donald Trump. 2020 wollte dieser seine Niederlage nicht akzeptieren. Er zettelte beinahe einen gewaltsamen Putsch an, und sein Team von Anwälten bekämpfte das Resultat der Wahlen in über 60 Verfahren vor Gericht. Mit einer Ausnahme verloren sie alle – und zwar meistens gegen Marc Elias.
Dieser vertrat damals die Demokraten. Sein Erfolg basierte dabei auf einer Mischung aus Kompetenz und Verbissenheit. Dazu kam, dass Trumps Vorwürfe von Wahlbetrug schlicht haltlos waren.
Fast 200 Verfahren um US-Wahl hängig
Seit wenigen Wochen ist Elias nun auch Teil der Harris-Kampagne. Ihr Team aus Juristinnen und Juristen ist derzeit zehnmal grösser als das von Biden vor vier Jahren. Insgesamt sollen es laut «New York Times» Hunderte Anwältinnen und Anwälte sein.
Fast 200 Verfahren rund um die Wahlen sind aktuell bereits wieder hängig, und täglich werden es mehr. Häufig geht es dabei um scheinbare Kleinigkeiten. Aber in einer Wahl, bei der es auf jede Stimme ankommt, könnte ein solches Verfahren am Schluss entscheiden, ob Donald Trump oder Kamala Harris ins Weisse Haus einziehen wird.
Die Mehrheit der Verfahren geht dabei auf das Konto der Anwälte der Republikaner. Und diese haben aus ihrer Niederlage vor vier Jahren gelernt. Damals gingen sie ziemlich dilettantisch vor. Beobachter sprachen von «mehr als einer Peinlichkeit». Die in aller Eile verfassten Klagen waren voller Tippfehler, entbehrten oft jeglicher juristischen Grundlagen, und die Beweise fehlten. Grosse Kanzleien enthielten sich der Mitarbeit, weil ihnen die Sache nicht geheuer war. Tatsächlich wurden unterdessen mehrere der damals aktiven Anwältinnen und Anwälte für ihr Vorgehen bestraft.
Für diese Wahl haben die Republikaner laut US-Medien nun ebenfalls Hunderte Anwältinnen und Anwälte aufgeboten, um vor und nach den Wahlen juristisch intervenieren zu können. Dazu kommen Hunderttausende Freiwillige, welche für sie die Wahlen begleiten und angehalten sind, jegliche mögliche Ungereimtheit zu dokumentieren.
Die Klagen richten sich in erster Linie gegen die briefliche Stimmabgabe, die mehrheitlich von Demokraten genutzt wird, und gegen Massnahmen, welche die bürokratischen Hürden für die Wahl senken sollen.
Kürzere Fristen, Ausweispflicht und Beschimpfungen
Unter anderem versuchen die Anwälte der Republikaner, zu verhindern, dass Briefstimmen auch dann gezählt werden, wenn sie erst nach dem Wahltag am 5. November bei der Wahlbehörde eintreffen. In mehreren Bundesstaaten ist dies möglich, solange der Poststempel von vor dem Stichtag ist.
Im Swing-State North Carolina klagen die Republikaner, weil Wählerinnen und Wähler sich bei der Registrierung ihrer Meinung nach nicht genügend identifizieren mussten. Trump und sein Team fordern immer wieder, dass Wählerinnen und Wähler sich für die Wahl mit einem offiziellen Dokument, also zum Beispiel einer ID oder einem Führerschein, ausweisen müssen. Seit Monaten schüren sie die Angst, dass sonst «Tausende Illegale» wählen würden, wie Trump es ausdrückt.
Demokraten und Bürgerrechtsorganisationen befürchten hingegen, dass so vor allem Arme und People of Color vom Wählen abgehalten werden sollen. Diese Gruppen neigen traditionell eher zu den Demokraten. Sie haben überproportional oft keine ID oder Ähnliches zur Hand, wenn sie denn überhaupt eine solche besitzen. Laut einer Studie vom vergangenen Jahr ist das bei insgesamt über 20 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern im Abstimmungsalter der Fall. In viele Staaten können Wählende sich deshalb zum Beispiel mit einem Lohnausweis oder einer Stromrechnung registrieren.
In Arizona, ebenfalls ein Swing-State, fochten konservative Anwälte eine Regel zum Schutz von Wählern und Wahlmitarbeiterinnen an. Derzeit ist es verboten, diese zu beschimpfen oder zu verspotten. Das beschneide jedoch das Recht auf freie Meinungsäusserung, behaupteten die Anwälte in ihrer Klage.
Auch Demokraten reichten Dutzende Klagen ein
Auch Marc Elias und die demokratischen Anwälte haben bisher Dutzende Klagen eingereicht. Viele davon als Reaktion auf Regeln, die republikanische Politiker erlassen haben. Zum Beispiel, dass in Georgia neu die Anzahl Stimmzettel von Hand überprüft werden soll.
Dadurch könnte der Zertifizierungsprozess verzögert werden, was ihn anfälliger machen würde für Eingriffe durch republikanische Wahloffizielle, wie manche Demokraten befürchten. Ein Gericht hat die neue Regel diese Woche nun für ungültig erklärt.
Elias geht nicht immer zimperlich vor. So soll er Briefe an republikanische Wahlmitarbeiter verschickt haben, in denen er ihnen mit juristischen Konsequenzen drohte, sollten sie sich unangemessen in die Wahlen einmischen.
«Republikaner machen Demokraten das Wählen schwer»
Zurzeit seien es jedoch eindeutig die Republikaner, die versuchten, die Wahlrechte der Bevölkerung zu beschneiden, sagt Paul Berman, Rechtsprofessor an der George Washington University. «Sie machen seit langem alles, um den Demokraten das Wählen zu erschweren.»
Die Demokraten hätten laut Berman hingegen geklagt, um mehr Menschen die Stimmabgabe zu ermöglichen und die Integrität des Wahlprozesses zu schützen.
Als grösste Gefahr für eine faire Wahl im November sieht Berman jedoch nicht einzelne Regeländerungen, sondern dass Trump und die Republikaner mit ihren Klagen Unsicherheit säen. «Sie vermitteln so das Gefühl, dass etwas nicht stimmen könnte mit der Wahl. Das macht es für die Republikaner einfacher, diese im Nachgang anzuzweifeln.»
Kritische Leute in den Wahlbüros durch Loyalisten ersetzt
Kritisch sieht Berman auch, dass die Republikaner praktisch alle Wahlmitarbeitenden ausgewechselt haben, die sich vor vier Jahren gegen eine Einmischung durch Donald Trump gewehrt hatten. «Sie haben sie durch parteiischere Leute ersetzt.»
2020 hatten sich die Richter dem Druck von Donald Trump nicht gebeugt. Ob das auch dieses Mal so sein wird? «Ich hoffe es», sagt Berman.
Die Hoffnungen der Demokraten ruhen derweil auf Marc Elias.