Elias Vogt gegen Albert Rösti – ein 27-Jähriger legt sich mit dem Bundesrat an

Kampf eines exzentrischen Windkraftgegners

Er sieht im Energie-Mantelerlass das «schlimmste Gesetz aller Zeiten». Der junge Wind­kraft­gegner Elias Vogt setzt alles daran, die energie­politischen Errungen­schaften von Albert Rösti zu kippen. (Tages-Anzeiger, 26.12.2023)

Die Aussicht Richtung Bielersee übertrifft jede Postkarte: Felder und Berge, so weit das Auge reicht, dazwischen Dörfer, umzogen von leichten Wolken. 

«Das ist schön», sagt Elias Vogt an diesem windigen Novembermorgen auf dem Chasseral, dem höchsten Berg des Berner Juras. Dann läuft er einige Schritte den Hügel hinauf, schaut in die entgegengesetzte Richtung und zeigt auf die 19 Windräder, die zwischen dem Chasseral und der französischen Grenze in die Höhe ragen. «Und das ist schlimm.»

Vogt mag keine Windräder. «Sie sind unnatürlich und bringen mit ihrer Grösse und dem Rotieren eine Unruhe in die Landschaft», sagt er. Ihr Bau? Sehr materialintensiv. Häufig müssten dafür extra Strassen gebaut werden, teils mitten durch Wälder. Auch würden sie zahlreiche Vögel und andere Tiere töten. Um das aufzuwiegen, sei ihr Nutzen einfach nicht gross genug, findet Vogt. In der Schweiz habe es an den wenigsten Orten genügend Wind, damit sich die Stromproduktion lohnen würde.

Erfahrener Windradbekämpfer

Der 27-Jährige ist wohl der engagierteste Windkraftgegner der Schweiz. Als Präsident des Vereins Freie Landschaft Schweiz hat er schon Dutzende Windkraftprojekte bekämpft, Rekurse eingereicht und die Bevölkerung vor Ort mobilisiert. Nun kämpft er an vorderster Front gegen das seiner Meinung nach «schlimmste Gesetz aller Zeiten»: den Energie-Mantelerlass.

Dieser heisst offiziell «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» und ist ein dickes Paket. Mit Dutzenden Änderungen im Energie- und Stromversorgungsgesetz soll der Erlass ermöglichen, dass die Schweiz in den nächsten Jahrzehnten genügend Strom produziert  – und zwar sauber, aus Wasser, Sonnen- und Windenergie. 

Das Gesetz ist ein hart erkämpfter Kompromiss – und die Errungenschaft von Energieminister Albert Rösti. Er tat alles, damit es kein Referendum gibt. Versuchte zum Beispiel, umstrittene Abschnitte zu streichen. Denn bei einer Pleite an der Urne würden zwei Jahre harte parlamentarische Arbeit verloren gehen – und die Energiepolitik wäre keinen Schritt weiter.

Das Gesetz bietet dementsprechend allen etwas, womit sie leben können. Die Linke hätte gern eine Solarpflicht für sämtliche Dächer und Parkplätze gehabt, nun gibt es diese für Neubauten ab 300 Quadratmeter Grundfläche. Die Bürgerlichen erreichten Lockerungen beim Naturschutz, dafür gibt es mehr Subventionen für Energieprojekte. Und die Umweltverbände bekamen verbindliche Energiesparziele, müssen dafür aber Eingriffe in Schutzgebiete hinnehmen.

Ende September nahm das Parlament das Gesetz mit grosser Mehrheit an, der Ständerat sogar ohne eine einzige Gegenstimme. Auch die grossen Umweltverbände wie der WWF oder Pro Natura stehen dahinter.

Beinahe hatte Rösti sein Ziel erreicht.

Dann kam Elias Vogt. 

Zuerst ergriff nur eine kleine Gruppe von Einzelpersonen das Referendum. Bald darauf stellte sich jedoch auch der 27-Jährige mit seinem Verein Freie Landschaft Schweiz hinter sie. Wenig später schloss sich noch die Fondation Franz Weber mit einem eigenen Referendum an.

Lehrer, Autor, Villenbesitzer

Einfach wird es nicht, bis Mitte Januar die nötigen 50’000 Unterschriften zu sammeln. Es bleiben nur noch wenige Tage – und viele Leute sind in den Ferien oder bleiben wegen der Kälte drinnen. Doch Vogt hat schon mehrfach bewiesen, dass er auch vor scheinbar aussichtslosen Unterfangen nicht zurückschreckt.

Eigentlich ist er ausgebildeter Primarlehrer. Doch er leitete auch schon den Neubau des Leichtathletikstadions in Grenchen und konnte dafür mehrere Millionen Franken organisieren. Während der Pandemie schrieb er kurzerhand eine Biografie über einen Seeländer Posthalter aus dem 19. Jahrhundert. Mit 21 Jahren kandidierte er für das Grenchner Stadtpräsidium, wo er 24 Prozent der Stimmen holte.

Auf seiner Website präsentiert er sich unter anderem auch als Künstler und Besitzer einer historischen Villa. Früher gehörte diese einem Uhrenfabrikanten, heute lebt Vogt mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern darin.

Seine neueste Errungenschaft ist das Hotel auf dem Chasseral. Um nicht an asiatische Investoren verkaufen zu müssen, wandten sich die Vorbesitzer an den Landschaftsschützer, der in der Gegend viele Leute kennt. Vogt organisierte Investoren und kaufte es. Wer die Investoren sind, sagt er nicht.

Vogt kann sich für vieles begeistern und dabei offensichtlich auch andere überzeugen. Und er kann sehr hartnäckig sein.

Den ersten Kampf gegen die Behörden führte er bereits als Teenager. Er insistierte so lange bei den Grenchner Behörden, bis sie ihm den Umweltverträglichkeitsbericht zu einem geplanten Windprojekt aushändigten. «Zuerst fand ich das Projekt in der Nähe meiner Heimatstadt einfach spannend. Ich wollte meine Maturarbeit darüber schreiben», erzählt Vogt. 

Als die Behörden ihm jedoch den dazugehörigen Bericht nicht herausgeben wollten, habe er schnell gemerkt, dass da etwas nicht stimmen könne. Es stellte sich heraus, dass die veröffentlichte Zusammenfassung zahlreiche Umweltprobleme verschwiegen oder schöngefärbt hatte, sagt Vogt. Daraufhin legten Vogelschützer Rekurs ein, und den hiess das Bundesgericht am Ende teilweise gut.

Mantelerlass erklärt Stromanlagen zu «nationalem Interesse»

Der Rechtsweg ist die stärkste Waffe von Landschaftsschützern wie Vogt. Mit Einsprachen und Rekursen können sie Wind- und Solarprojekte verhindern oder über Jahre verzögern, wenn diese den Naturschutz tangieren. Genau diese juristischen Möglichkeiten will der Mantelerlass nun aber beschneiden.

Für Vogt ist das eine Katastrophe: «Die Natur und die Landschaft werden auf dem Altar der Stromproduktion geopfert!» Er habe das Gefühl, dass den meisten Parlamentarierinnen und Parlamentariern gar nicht bewusst sei, was dieses Gesetz alles ermöglichen würde.

Wer es jedoch begriffen habe, sei Albert Rösti. Vogt und der Bundesrat sind per Du. Als 21-Jähriger nahm der Landschaftsschützer an einem Treffen der Abstimmungskampagne gegen die Energiestrategie 2050 teil. Umgeben von Wirtschaftsgrössen und SVP-Parteigranden, präsentierte er seine Visualisierungen: Landschaften, von Windrädern übersäht. 

Um das zu verhindern, arbeitete Vogt immer wieder mit der SVP zusammen. Zuletzt erschien im diesjährigen Mai in der SVP-Abstimmungszeitung gegen das Klimaschutzgesetz ein Interview mit Vogt. Auflage: 3,2 Millionen Exemplare. 

«Es ist eigentlich verrückt, dass Rösti und ich uns jetzt gegenüberstehen», sagt er. Der Bundesrat sei nun «in einer schwierigen Lage» und müsse versuchen, es allen recht zu machen.

«Es geht nicht darum, die Landschaft zu verschandeln»

Albert Rösti hat Achtung vor dem jungen Windkraftgegner. «Es überrascht mich nicht, dass Herr Vogt diesen Schritt gemacht hat. Er setzt sich wahnsinnig stark für den Landschaftsschutz ein», sagte der Bundesrat am Rande eines Podiums in Bern. Er könne Vogt aber versichern, dass es im Mantelerlass nicht darum gehe, die ganze Schweizer Landschaft zu verschandeln.

Mit seiner kompromisslosen Haltung eckt Vogt häufig an. Besonders schlecht auf ihn zu sprechen sind – wenig überraschend – die Freunde der Windkraft. Doch auch bei anderen Natur- und Umweltschutzverbänden hört man Kritik an seinem Vorgehen. 

So zum Beispiel von Nils Epprecht, Umweltwissenschaftler und Geschäftsleiter der Schweizerischen Energiestiftung (SES). Die Stiftung setzt sich für eine nachhaltige Energiepolitik ein. Sie hat die Ausarbeitung des Mantelerlasses im Parlament eng begleitet.

«Der Mantelerlass ist ein umweltpolitischer Meilenstein», sagt Epprecht in einem Sitzungszimmer gleich beim Zürcher Hauptbahnhof. Dank dem Gesetz werde die Schweiz genügend Strom produzieren, um sich 2035 von fossilen Treibstoffen lösen zu können. Das Gesetz lege zum ersten Mal konkrete, netto-null-taugliche Ziele und Werkzeuge für die Energiewende fest. Ausserdem enthalte es verbindliche Einsparziele beim Verbrauch und sei damit ein echter Fortschritt.

Vogt hingegen spiele mit dem Referendum auf Zeit. «Doch diese Zeit haben wir nicht. Der Klimawandel macht auch vor der Landschaft nicht halt», sagt Epprecht.

Komme hinzu: Referendumsbefürworter wie Vogt schürten falsche Panik. Analysen der SES hätten ergeben, dass mit dem Mantelerlass 80 Prozent der für den Umstieg nötigen neuen Stromanlagen auf  bestehender Infrastruktur gebaut würden. «Also auf Dächern, Fassaden, Parkplätzen und Staumauern.»

Herausforderung Winterstrom

Dass man dennoch nicht auf Anlagen in der freien Landschaft verzichten kann, begründet Epprecht mit dem Winter. Während gleichzeitig mehr Strom gebraucht wird, produzieren Solaranlagen im Mittelland weniger. «Dann braucht es Anlagen in den Bergen, die einspringen können.» Das sei insbesondere nötig, weil die Schweiz kein Stromabkommen mit Europa habe und so im Ernstfall auf sich allein gestellt sein könnte. 

Dazu gehören auch die 16 Wasserkraftwerke, die 2021 im Rahmen eines runden Tisches zwischen Behörden, Stromproduzenten und Umweltschützerinnen als besonders erstrebenswert ausgewählt worden waren. Mit dem Mantelerlass könnte man den Bau dieser spezifischen Projekte praktisch nicht mehr verhindern. Denn er stellt sie explizit über den Natur- und Landschaftsschutz – was die Gegner des Gesetzes besonders empört.

Doch gerade wenn man die Natur schützen will, führt für Epprecht momentan kein Weg am Mantelerlass vorbei. Würde das Gesetz an der Urne versenkt, drohe unter dem neuen, nach rechts gerutschten Parlament ein Gesetz, das noch weniger Rücksicht auf den Naturschutz nehme. 

«Der Ausbau der erneuerbaren Energien würde sich verzögern, der Energiebedarf steigen. Noch grössere Anlagen wären nötig für einen Ausstieg aus der fossilen und atomaren Energie.» Die grossen Umweltverbände wie Pro Natura, Greenpeace oder der WWF sehen das ähnlich. 

Forschung und Solardächer in den Alpen

Landschaftsschützer Elias Vogt beurteilt das freilich anders. Er glaubt an den technologischen Fortschritt und die Eigenverantwortung. «Wir müssen unseren Energieverbrauch reduzieren und Solaranlagen auf bestehenden Dächern in Berggebieten installieren.» Ausserdem brauche es mehr Forschung in neue Technologien, beispielsweise Speichermöglichkeiten. Er will die Energiewende, ohne dass sich optisch viel ändert.

So wie er das selbst auch in seinem Restaurant auf dem Chasseral gemacht hat. Auf den Tellern sieht man Käsegratin und Hirschpfeffer, auf den Tischen Aromat und Maggi. In den alten Glaslampen brennen hingegen Stromsparbirnen, die Elektrizität kommt von den Solarpanels auf dem Dach. 

Wären alle Schweizerinnen und Schweizer wie Vogt, bräuchte es den Mantelerlass wohl nicht. Aber es legen sich auch nicht alle 27-Jährigen mit einem Bundesrat an.

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