Sommerserie U-30 mit Nasa-Forscher
Adrian Fuhrer lernte Koch, heute baut er Raketen an der ETH. Seine Masterarbeit schreibt er bei der Nasa. Im Interview erklärt er, weshalb Raumfahrt auch ökologisch sinnvoll ist. (Tages-Anzeiger, 05.09.2023)
Herr Fuhrer, herzliche Gratulation, Sie werden ab Herbst bei der Nasa arbeiten und dort Ihre Masterarbeit schreiben. Aber bereits jetzt haben Sie flugfähige Raketen gebaut. Als Teenager hätten Sie sich das wohl kaum träumen lassen …
Absolut. Eigentlich wollte ich eine Lehre als Uhrmacher beginnen. Doch in der Schnupperlehre sagten sie mir, dass ich dafür zu schlecht in Mathematik bin. Stattdessen machte ich dann eine Lehre als Koch.
Wie kamen Sie aus der Küche an die ETH?
Ich war sehr gerne Koch. Das Kochen hat so etwas Mystisches, der Koch kann experimentieren, ausprobieren und erschaffen. Er ist Chef in seinem Reich, und die Arbeit fordert volles Commitment. Aber ich habe auch gemerkt, dass ich mal noch etwas anderes ausprobieren möchte. Mein damaliger Oberstufenlehrer hat mich stark gefördert und mir empfohlen, noch die BMS und die Passerelle anzuhängen. Im Militär entdeckte ich dann meine Faszination für Technik und schrieb mich an der ETH für Lebensmitteltechnologie ein. Später wechselte ich zum Maschinenbau.
Sie sind wahrscheinlich einer der wenigen an der ETH, der eine Lehre gemacht hat. Bekamen Sie das zu spüren?
Ich hatte ein klares Defizit in Mathe. Das nötige Wissen musste ich mir sauer erarbeiten. Aber ich kann sehr hartnäckig sein. Ausserdem hat mich die Lehre auch wichtige Dinge gelehrt.
Zum Beispiel?
Die Lehre förderte mein Verständnis für das Handwerk. Sie lehrte mich, das Praktische vor Augen zu haben. Und mein Weg hat mir bewusst gemacht, was es für ein Privileg ist, an einer renommierten Hochschule wie der ETH zu studieren.
Sind Sie eigentlich ein besonders guter Student?
Es geht, meine Noten sind nicht berauschend. Ich stecke mehr Zeit in Aris, die Akademische Raumfahrt Initiative Schweiz, als ins Lernen. Mir ist wichtig, dass ich etwas verstanden habe und es in der Praxis anwenden kann. Ob ich an der Prüfung die perfekte Antwort geben kann, ist für mich zweitrangig. An dieser Haltung liegt es wohl auch, dass ich damals nicht ins Gymi kam.
Wird sich das in der Zukunft mal noch rächen?
Ich denke, meine Erfahrung bei Aris und meine gesammelte berufliche Erfahrung bringen mich persönlich in der Berufswelt weiter als gute Noten. Es wird immer deutlicher, dass die heutige Arbeitswelt mehr erfordert als nur einen Uni-Abschluss, um erfolgreich zu sein.
Können Sie erklären, was Aris genau ist?
Die Akademische Raumfahrt Initiative Schweiz. Bei Aris kommen Studierende der ganzen Deutschschweiz zusammen, um in ihrer Freizeit Weltraumprojekte zu verwirklichen. Der Hauptfokus lag dabei bis jetzt auf der jährlichen Teilnahme an Raketenwettbewerben. Dort treten Teams aus zahlreichen Ländern mit ihren selbst gebauten Raketen gegeneinander an.
Sie bauen also in einem Jahr eine flugfähige Rakete zusammen?
Genau. Im vergangenen Jahr erreichten wir beim Spaceport America Cup, dem grössten studentischen Raketenbauwettbewerb der Welt, den zweiten Platz. Unsere Rakete flog gut zehn Kilometer hoch und konnte auch wieder sicher landen. Wir wollen aber etwas wegkommen von den Wettbewerben und zwei etwas grössere Projekte verfolgen: die erste Schweizer Rakete, die 100 Kilometer weit ins All fliegt, und einen eigenen Satelliten. Dazu kommen kleinere Maschinen wie zum Beispiel eine Unterwasserdrohne, die in den Meeren der Eismonde von Jupiter und Saturn eingesetzt werden könnte.
Und das alles machen Studierende in ihrer Freizeit?
Ja, insgesamt sind zurzeit rund 150 Studierende bei Aris aktiv. Die meisten davon studieren etwas Technisches oder Naturwissenschaften. Viele sind an der ETH, aber wir haben auch einige Leute von den Fachhochschulen oder Wirtschaft- und Jus-Studis, die Teil des Projekts sind.
Was braucht es, um eine Rakete zu bauen?
In erster Linie viel Enthusiasmus. Ohne geht es nicht.
Unterdessen sind Sie Vize-Präsident von Aris und weniger direkt am Bau beteiligt. Was machen Sie da?
Meine Aufgabenpalette ist sicher breiter geworden, seit ich im Vorstand bin. Grundsätzlich sorge ich dafür, dass die Teams reibungslos arbeiten können. Daneben suche ich Sponsoren, verhandle mit Industriepartnern und so weiter. Mir macht es auch immer viel Spass, Aris an Kongressen zu präsentieren. Dazu kommt Unerwartetes, wie eine abgestürzte Testrakete, die mit dem Helikopter geborgen werden muss. Da gibt es viel zu koordinieren.
Sie schlagen sich jetzt also eher mit zwischenmenschlichen statt technischen Problemen herum?
Ja, und die finde ich auch schwieriger, und da muss ich immer wieder dazulernen. Für ein technisches Problem findet man immer eine Lösung. Im Sozialen geht das meistens nicht. Man muss Kompromisse suchen.
Muss man ein Genie sein, um bei Aris mitzumachen?
Wir sagen immer, man muss kein Experte sein, aber man muss bereit sein, einer zu werden. Von frischen Bachelor-Studis bis zu Doktorierenden haben wir alles bei uns. Aber das Wichtigste ist, dass man ins Team passt.
Teamwork ist wichtiger als individuelle Exzellenz?
Absolut. Ein exzentrisches Genie wie Elon Musk ist nicht das, was wir suchen. Wir müssen im Kollektiv arbeiten und im Plenum Entscheide treffen. Man muss im Ernstfall fähig sein, sich auch einzugestehen, dass nach einem Jahr Arbeit eine Rakete nicht sicher genug ist, um sie zu starten. Auch wenn es alle noch so wollen. Dafür braucht es Teamwork und keine Einzelkämpfer.
Um bei Musk zu bleiben: Wenn er Ihnen ein Ticket für einen Flug ins Weltall schenken würde, würden Sie gehen?
Also würde Elon Musk mit mir mitfliegen? (lacht) Die abenteuerlustige Seite in mir würde sofort zusagen. Die Vernunft würde wohl eher Nein sagen.
Was spricht gegen einen Flug ins All?
So ein Flug ist ein wahnsinniges Privileg und auch mit grossen Umweltemissionen verbunden. Würden alle zum Spass ins All fliegen, wäre das nicht nachhaltig.
Die Raumfahrt ist aber sehr materialintensiv und damit per se nicht umweltfreundlich. Wie bringen Sie das zusammen?
Es stimmt, eine Rakete ins All zu schiessen, ist immer mit Emissionen verbunden. Aber es kommt drauf an, was das Ziel einer Mission ist. Ein Satellit, der hochauflösende Aufnahmen von Feldern und Wäldern aufnimmt, kann helfen, dass auf der Erde sparsamer bewässert wird und dass Waldbrände frühzeitig erkannt werden.
Dazu kommt aber auch noch der Weltraumschrott.
Das ist sicher ein wichtiges Thema. Mir wird manchmal schon bange, wenn ich in den Nachthimmel schaue und sehe, was da alles so rumfliegt. Hier braucht es sicher internationale Regeln. Das Ziel bei Aris ist, dass unser Satellit drei Jahre nach Missionsende in der Umlaufbahn wieder in die Erdatmosphäre zurückkehrt und dort verglüht.
Die Raumfahrt verbraucht nicht nur viele Ressourcen, sondern ist auch sehr teuer. Wäre das Geld andernorts nicht besser eingesetzt, als wenn man es in die Luft schiesst?
Grundsätzlich ist Geld, das in die Forschung investiert wird, nie schlecht ausgegeben. Denn das Geld verpufft ja nicht, sondern bleibt in der Schweizer Wirtschaft. Und die Weltraumforschung gibt der Gesellschaft viel zurück.
Zum Beispiel?
Die ganze GPS-Technologie wurde für die Raumfahrt erfunden oder auch all die Satellitenbilder, die zum Beispiel im Ukraine-Krieg oder in der Landwirtschaft enorm wichtig geworden sind.
Wie sehen Sie die Rolle der Schweiz im All?
Die Stärke der Schweiz ist die Wissenschaft, und wir können sicher viel zur Forschung beitragen. Ausserdem gleicht das Weltall zurzeit dem Wilden Westen. Es gibt kaum Regeln, alle Länder versuchen, ihre Satelliten hochzuschiessen. Die Schweiz mit ihrer diplomatischen Tradition könnte eine wichtige Rolle spielen bei der Ausarbeitung von internationalen Standards. Andererseits wird die Gefahr einer Abhängigkeit immer grösser. Da muss die Schweiz aufpassen.
Ist das All für Sie grösser oder kleiner geworden, seit Sie selber Raketen bauen?
Beides. Je mehr man sich mit dem Weltraum auseinandersetzt, desto mehr versteht man, wie gigantisch er ist. Gleichzeitig sind das alles auch konkrete Distanzen, die man berechnen und mit den richtigen Geräten erreichen kann.
Sie studieren Vollzeit an der ETH, arbeiten 20 Prozent als Ingenieur und investieren unzählige Stunden in Aris. Wie geht das?
Aris ist für mich mehr Hobby als Arbeit. Es gibt mir mehr Energie, als dass es mir welche nimmt.
Aber kommen Sie manchmal dazu, zu entspannen?
In meiner Freizeit gehe ich gerne klettern, und seit vier Jahren halte ich selber Bienen mit meinem Vater. Das ist ein super Ausgleich.
Ihrer Generation wird ja nachgesagt, dass alle nur noch Teilzeit arbeiten wollen. Kann man Teilzeit-Raketenforscher sein?
Zurzeit passiert wahnsinnig viel in der Forschung, da wäre es wohl schwierig, mitzuhalten.
Also wollen Sie später Vollzeit arbeiten?
Ich wäre froh, wenn es nur 100 Prozent wären! (lacht) Aber eigentlich arbeite ich ja jetzt schon Teilzeit, einfach an mehreren Orten. Ich schätze die Abwechslung.
Das klingt aber nicht wirklich nach gesunder Work-Life-Balance.
Ich denke, die Betonung dieser Gegensätze wird manchmal etwas überstrapaziert. Das Ziel sollte sein, dass man die Arbeit mit dem verbinden kann, was man gerne macht.
Die Nasa hatte mit Thomas Zurbuchen jahrelang einen Schweizer Leiter. Werden Sie eines Tages in seine Fussstapfen treten?
Ich glaube nicht, dass ich ihm das Wasser reichen kann. Aber er ist sicher eine grosse Inspiration. Er hat eine wahnsinnige Geschichte geschrieben, aber ich würde gerne meine eigene Geschichte schreiben. Mein Ziel ist es, dass ich eines Tages mit meiner Forschung dazu beitragen kann, die Welt nachhaltiger und innovativer zu machen.