«Was an den Bällen passiert, bleibt auch an den Bällen.»

Zünfter lachen in geleaktem Video über Minderheiten.

Ein schwarz Angemalter mit einem Knochen in der Hand reisst an einem Zunftball Witze auf der Bühne. Dies zeigt ein Video einer geschlossenen Veranstaltung vor dem Sechseläuten. (Tages-Anzeiger, mit David Sarasin, 19.04.2023)

Am Wochenende vor dem Sechseläuten bleibt Zürichs Elite unter sich. Am Samstag findet das Fest für alle auf dem Lindenhof statt, bevor am Abend verschiedene von Zünften organisierte Bälle stattfinden. Für sie alle gilt: Anwesend sind nur Zünfter, ihre Frauen und geladene Gäste. Geschlossene Gesellschaft. Was an den Bällen passiert, bleibt auch an den Bällen. Das hat offenbar durchaus seine Gründe, wie Informationen zeigen, die dieser Zeitung vorliegen.

Einige der älteren Zünfter treffen sich jährlich im noblen Restaurant Terrasse beim Bellevue. Rund 140 Gäste waren am vergangenen Samstag am «Ball beim Böögg» eingeladen. Unter ihnen bekannte Wirtschaftskapitäne oder Verwaltungsräte wie etwa Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig. Auf der Gästeliste stehen illustre Namen wie Bodmer, Pestalozzi und Naville. Man trägt traditionelle Zunftkleidung. Organisiert wird der Ball von Vertretern verschiedener Zünfte.

Showblock mit Blackfacing

Zwischen 21.30 Uhr und 22.15 Uhr – nach der zweiten Vorspeise und vor dem Hauptgang – stand eine «Produktion» des Show-Komitees auf dem Programm: ein Rückblick auf «Bälle beim Böögg» vergangener Jahre. Über die Leinwand flimmerten Aufzeichnungen von ehemaligen Produktionen. 

Dieser Zeitung liegen Bilder, Videos wie auch der Ablaufplan der Veranstaltung vor. Ebenso ist der Abend aus Gesprächen mit anwesenden Leuten teilweise rekonstruierbar. 

In der zweiten Hälfte des dreiviertelstündigen Showblocks betritt ein Mann die Bühne, dessen Gesicht schwarz angemalt ist. Er trägt eine schwarze Kraushaarperücke, einen Bastrock und hält einen grossen Knochen in den Händen. Das wird in der Fachsprache Blackfacing genannt. Die Kritik daran: Privilegierte Personen machen sich über eine Gruppe lustig, die in der Gesellschaft Diskriminierung erfahren hat. (Lesen Sie unseren Kommentar dazu: Jetzt muss ein Ruck durch die Zunftstuben)

Bei der Produktion ging es offensichtlich darum, dass man sich von niemandem zensieren lassen will.

Auf der Leinwand im Hintergrund der Produktion ist ein rundlicher Böögg erkennbar, in dessen Mitte prangt das Logo des Zurich Film Festival (ZFF). Die Verantwortlichen des ZFF sagen auf Anfrage, sie hätten keine Kooperation mit dem «Ball beim Böögg» und wüssten nichts von der Verwendung des Logos.  

Neben dem Geschminkten stehen ein als Frau verkleideter Mann mit blonder Perücke sowie eine Frau ganz in Schwarz und mit Federschmuck. Während des Gesprächs steckt sich der schwarz angemalte Mann den Knochen zwischen die Beine. Lacher im Publikum. Insgesamt wird aus den Videos und in Erzählungen deutlich, dass es bei diesem Teil der Produktion darum ging, dass man sich von niemandem zensieren lassen will. 

Um das zu veranschaulichen, fährt der Mann in Frauenkleidern fort mit dem Rückblick auf das Jahr 2018. «Die Zensurbehörde der Stadt Zürich hat die Episode damals verboten, weil sie fand, sie sei in höchstem Mass unkorrekt», sagt er, bevor er den Clip abspielt. Gelächter im Saal. Und dann: «Weil wir hier aber in einer geschlossenen Gesellschaft sind, sollten Sie sich besser selber ein Bild machen.» Wieder Gelächter im Saal.

Lachen über Homosexuellen und Sexarbeiterin 

Im Clip ist die gleiche schwarz angemalte Person im gleichen Bastrock und der gleichen Perücke zu erkennen – nur fünf Jahre früher. Ebenso ein Mann, der mit einem regenbogenfarbigen Hemd einen Homosexuellen darstellt. Als Drittes stolziert eine erkennbar als Sexarbeiterin verkleidete Frau ins Bild, die einen portugiesischen Dialekt nachahmt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer im Video, wie auch im Saal vor Ort, lachen. 

Ein solcher Auftritt ist in diesen Kreisen kein Einzelfall. 2020 berichtete die «New York Times» über das Fest zum 60. Geburtstag des ehemaligen Verwaltungsratspräsidenten der Credit Suisse, Urs Rohner – auch er ein Zürcher Zünfter. Dabei soll ein schwarzer Schauspieler einen Hausmeister gespielt haben, der zur Musik tanzend mit einem Besen gewischt habe. Später seien auch Bekannte von Rohner mit Afro-Perücken aufgetreten.

SP reicht Anfrage ein

Mitglieder der Zunft zum Kämbel treten traditionell in Beduinenkostümen mit hellbraun geschminkten Gesichtern auf. Dies hatte vor dem diesjährigen Sechseläuten auch in der Politik für Diskussionen gesorgt. Drei SP-Kantonsräte reichten Anfang Woche eine Anfrage ein, worin sie die Zunft zum Kämbel kritisieren: «Durch solche öffentliche Zurschaustellung von überholten Stereotypen werden rassistische Vorstellungen einer Kultur wiedergegeben und zementiert», heisst es im Papier der Kantonsrätinnen. Die Zunft wehrte sich in der Zeitung «20 Minuten» gegen den Rassismusvorwurf. Man prüfe rechtliche Schritte.

Das Zentralkomitee der Zürcher Zünfte (ZZZ) sagt auf Anfrage, der «Ball beim Böögg» habe nichts mit der Organisation des Sechseläutens zu tun. In der Tat ist der Ball – im Gegensatz zu anderen Bällen – auch nicht auf der Website des ZZZ aufgeführt.

Die Veranstalter des «Balls beim Böögg» möchten sich auch nach mehrfachem Nachfragen dieser Zeitung nicht zur Produktion am Zunftball äussern. Eine mitverantwortliche Person sagt am Telefon lediglich, der Ball habe «in geschlossener Gesellschaft und unter Freunden» stattgefunden. Der Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig und weitere an der Veranstaltung Anwesende antworteten ebenfalls nicht auf eine Anfrage dieser Zeitung.

Anfang Jahr gab Dörig dem «Blick» ein Interview zu seinem Entscheid, in die SVP einzutreten. Er sagte damals, er sei wertkonservativ. Deshalb störe ihn «dieses Mainstream-Woke-Gehabe und dieses Moralisieren, das dem Zeitgeist einer wohlstandsverwöhnten Minderheit entspricht». Zwar müssten Minderheiten respektiert werden. Aber: «Wir sollten uns als Gesellschaft besser mit den wesentlichen Sachen beschäftigen.»

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